“Der schönste Tag des Lebens war die Natur”

Georg Paulmichl


Selbstportrait

Spaziergang in der Stadt, Selbstportrait

 

Aus dem Rohrlauf des Lebens

von Georg Paulmichl

Geboren und aufgewachsen bin ich im Elternhaus. Zuerst habe ich die Geburt überstanden. Aufgewachsen bin ich als kleines Kind, ohne Furcht vor dem Lebensgetöse. In einer Wiege wurde ich großgezogen. Das ist alles schon Jahrzehnte her, der Erinnerungsschwund hat eingesetzt. Die Strampelhöschen haben mich gekratzt und gezwickt. Das war alles damals, die Kindheit kommt nicht mehr. Nachher ging die Fahrt nach Vorarlberg ins Heim. Gegraust hat es mich bis auf den Grund des Bodens. Strenge Schwestern haben mich zum Jammern gebracht. Einmal wurde ich vom Hund in die Wunde gebissen. Zum Militärdienst habe ich Abscheu und keine Laune. Zum Schießbefehl habe ich kein Talent. Zum Heiraten habe ich auch keine Begabung, die Nächstenliebe ist mir zu streng. Bei der katholischen Jugend wurde ich auch einmal einberufen. Für das Jugendalter bin ich zu langsam geworden. Heute gehöre ich zur Künstlerrasse. Appetit habe ich immer noch im Überfluß. Mein Bauch wächst im Umfang. Zu meinem Verwandtschaftsbund gehört auch die Schwester und der Bruder. Oft sind sie grantig und bockig. Sie haben keine Freude mit sich. Sie gehören abgemahnt zur Umkehr. In die Fernsehscheibe guck ich mit Vergnügen. Ein bißchen Wetterbericht kann im Leben nicht schaden. Kirchen gehe ich auch, damit im Himmel der Stammplatz sicher ist. Nach meinem Leben endet alles in Sumpf und Tod. Erdgewürm überwuchert die Grabgebeine. Die abgemahnte Seele sucht dann die Himmelsleitersprossen. Im Paradies werde ich jubilieren, mit Freudenschreien. Schade, dass es den lieben Gott nicht gibt.

Der Georg in Prad, Selbstportrait

Der Georg in Prad, Selbstportrait

 

Georgs Schullebenslauf

von Georg Paulmichl

Zuerst bin ich in Prad Kindergarten gegangen.
Im Kindergarten hat es mir gefallen.
Ich habe manchmal auch für das Leben gekämpft.
Nachher bin ich in Mals beim runden Turm in die Schule gegangen.
Die Schule ist für mich ein Beruf.
Schulgehen schadet nicht, es schadet auch den Erwachsenen nicht.
Dann bin ich in ein Heim nach Vorarlberg gekommen.
Die Klosterfrauen sind zu streng mit mir gewesen.
Sie haben einem mit einem Stecken auf die Hände geschlagen.
Schlagen ist eine Sünde.
Im Heim haben mir die Schlafzimmer am besten gefallen.
Wenn man schläft, dann träumt man.
Nachher bin ich in die Werkstatt gekommen.
In der Werkstatt bin ich ein Dichter.
Dichter sein ist ein feiner Beruf.
In der Werkstatt sind alles Behinderte.
Ich bin nicht behindert, ich kann reden.
Ich will immer Ruhe haben.
Die Künstler brauchen immer Ruhe.
Ich möchte das ganze Leben in der Werkstatt bleiben.

(aus: Der Georg. Texte und Bilder. Innsbruck: Haymon, 2008)

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